Die Kunst des Müßiggangs
Er scheint aus der Zeit gefallen, der Müßiggang. Ist er das? Was kann er sein, in einer Zeit, die sich immer mehr zu dynamisieren scheint? Ein schriftlicher Gedankenaustausch mit Bernhard Winkler, zeitgemäß per Mail geführt.
Lieber Bernhard,
in unserem Gespräch letztens war er plötzlich da, der Begriff des Müßiggangs. Wir haben dann versucht, ihm näherzukommen. Haben ihn in Bildung, Kunst und Kultur verortet. Und auch in vergangenen Zeiten. Haben ihm eine Ziel- und Zwecklosigkeit zugschrieben. Und das alles im scheinbaren Widerspruch zum unternehmerischen Tun gesehen, das einen Zweck und zukunftsgerichtete Ziele verfolgt. Begriffe wie „sich fallen lassen“, „einfach nur sein“ sind gefallen. Und auch die Langeweile und die Faulheit. Wodurch schnell die Frage aufgetaucht ist: Darf das überhaupt sein, darf ich mir das gönnen? Du hast dann von einer Sehnsucht nach Langeweile gesprochen. Was erwartest, erwünschst, erhoffst du dir von ihr?
Liebe Grüße, Barbara
Liebe Barbara,
ich merke zunehmend, dass ich ein Getriebener meiner Aufgaben und Aktivitäten bin, und das nicht nur im beruflichen Kontext. Ich habe einmal gelesen, wie wichtig es ist, auch einmal Langeweile zu haben, also einfach nichts zu tun. Ich habe das dann gleich beim Frisör (bewusst ohne Lesen oder Smartphone) ausprobiert, wo ich fast 2 Stunden warten musste – und es war sehr entschleunigend. 🙂 Wie geht es denn dir mit der Langeweile?
Liebe Grüße, Bernhard
Lieber Bernhard,
was ist Langeweile? Viele Denker:innen haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen, von Nietzsche über Schopenhauer bis zu Susan Sontag. Großteils beschreiben sie die Langeweile als ein unangenehmes Gefühl. Eine:r will was tun, kann aber aus irgendwelchen Gründen nicht.
Ich kann mich gar nicht erinnern, wann mir zuletzt so gewesen ist. Ich habe schon ab und an unverplante Zeit und diese ist mir sehr wertvoll: Ohne Ansprüche in den Tag leben, schauen, was kommt, und tun, was sich gerade gut und richtig anfühlt. Ruhe zu haben, da überhaupt hineinspüren zu können. Kann das Muße sein oder gar Müßiggang, was meinst du?
Liebe Grüße, Barbara
Liebe Barbara,
das mit dem unangenehmen Gefühl kann ich nachvollziehen, wobei es wahrscheinlich auf die eigene innere Haltung ankommt, wie Langeweile empfunden wird. Muße und Müßiggang sind recht eng mit dem neudeutschen Begriff „Quality Time“ verwandt – und da kannst du deine wertvolle unverplante Zeit sicher darunter subsumieren. Weil wir bei Begriffen sind: Hast du schon einmal von „Bohème“ gehört bzw. was verbindest du mit diesem weiteren möglichen Synonym?
Liebe Grüße, Bernhard
Lieber Bernhard,
bei der Bohème entsteht bei mir ein Bild, das ich mit vergangenen Zeiten verbinde: Künstler:innen und Intellektuelle, die sich in den Cafés und Salons von Wien, Prag und Paris treffen (verrauchte Räume, Stimmengewirr). Manche davon sind reiche Erb:innen, andere wiederum schlagen sich grade so durch und finden sich auch deshalb im Kaffeehaus ein, weil ihre Wohnräume viel zu kalt und klein sind, um darin arbeiten zu können. Auch die Gruppe um Andy Warhol kommt mir in den Sinn oder das Chelsea Hotel in Manhattan. Ist das aber tatsächlich nur ein Begriff aus der Vergangenheit oder gibt es auch eine moderne Form der Bohemienne?
Liebe Grüße, Barbara
Liebe Barbara,
heute bin ich mit meiner Frau Monika in Krems aufs Schiff gegangen und wir lassen uns durch den Tag und die Wachau treiben. Meine Frau meint, dass das Müßiggang sei und nicht Langeweile. 🙂
Ich mag es sehr, wenn wir uns alle paar Monate zu unserem Philosophikum im Café Traxlmayr treffen, vielleicht ist das eine Form dieser Bohemienne? Wenn ich (leider viel zu selten) mit Freund:innen durch ein Museum schlendere und diskutiere, dann verspüre ich auch einen Hauch davon. Ansonsten kann ich aufgrund meines Lebensstils und meiner Erfahrungen nicht sehr viel dazu beitragen.
Liebe Grüße, Barbara
Lieber Bernhard,
was du beschreibst, kommt meinem Bild des Müßigganges und dem modernen Bild der Bohème schon recht nahe. Für mich geht‘s darum, sich von den alltäglichen Aufgaben nicht so vereinnahmen zu lassen, dass kein Raum mehr ist für Muße oder Müßiggang. Denn ich denke, die ist schon auch wichtig, um sich als Mensch weiterzuentwickeln. Für mich steckt im Müßiggang die Muße und der Gang, die Bewegung. Es tut sich also was, in diesem Zustand.
Ich habe es selbst grad bei unserer Finnland-Reise erlebt: Da hatten wir Zeit und keinen Plan, nur ein paar Ideen. Wir haben viel Natur erlebt, aber auch viel Kunst, die in diesem Land sehr vielfältig und präsent ist.
Was mir das alles gebracht hat? Die Eindrücke wirken sehr nach. Ich bin wieder offener für andere Zugänge. Mein Kopf ist wieder frei für neue Gedanken und ich kann wieder neue Ideen einbringen.
Was ich dich aber fragen will: Wie gehts dir nun nach deiner Pause?
Liebe Grüße, Barbara
Liebe Barbara,
ich habe eine dreiwöchige Auszeit genommen, was für viele Menschen ein echter Luxus ist, und war ein Faulenzer. Nachdem mein Motto ja eigentlich „work hard & play hard“ ist, war das genau das Richtige für mich: Lange Weile und faul zu lenzen, bewusst zu erleben und zu genießen. Dabei ist mir noch etwas aufgefallen: Ich habe dabei die Zeit nicht totgeschlagen, das wäre für mich aufgrund der Kostbarkeit der Zeit Vergeudung!
Müßiggang ist aber definitiv eine noch edlere und erstrebenswertere Form, Zeit positiv & gut zu nutzen. Mir geht es jedenfalls sehr gut!
Liebe Grüße,
dein (Brief-)Freund Bernhard
Über drei Monate lief der Gedankenaustausch per Mail. Die Antworten kamen mal rasch, mal erst nach ein paar Wochen. Ohne Druck, ganz danach, was passend war.
Bernhard Winkler ist geschäftsführender Gesellschafter von TRESCON und betreibt gemeinsam mit INOVATO das Tochterunternehmen MOTIV.
Dieser Austausch ist im Magazin Inovator Nr. 41 (2023) erschienen.