Literarische Begegnungen mit Kuhglocken
Eine literarische Auszeit verspricht das Wortfestival Literasee im Hotel Wasnerin in Bad Aussee. Auszeiten können selten schaden, Literatur sowieso nicht und ins Salzkammergut zieht es mich von Kindheit an immer wieder. Also auf nach Bad Aussee, zu sechs Lesungen in drei Tagen an einem wunderschönen Ort.
Eine literarische Auszeit verspricht das Wortfestival Literasee im Hotel Wasnerin in Bad Aussee. Auszeiten können selten schaden, Literatur sowieso nicht und ins Salzkammergut zieht es mich von Kindheit an immer wieder. Also auf nach Bad Aussee, zu sechs Lesungen in drei Tagen an einem wunderschönen Ort.
[em deutschen Autor Clemens Meyer würde das gefallen, schätze ich. Jedenfalls gibt er sich als Freund von Zahlen und Strukturen, vor allem das Triptychon hat es ihm angetan: In drei Abschnitte strukturiert er seine Erzählungen. Drei Blöcke zu je drei Geschichten umfassen sein aktueller Erzählband. Es scheint beinahe, als würde er in die Anordnung der Erzählungen im Buch fast ebenso viel Zeit und Herzblut hineinstecken, wie ins Schreiben selbst. Wäre er nicht Schriftsteller sondern Programmierer, würde man einen wie ihnen wahrscheinlich als Nerd bezeichnen. Andererseits sagt er auch: „Der Bauch ist das wichtigste Organ des Schriftstellers.“ Nachsatz nach einer kurzen Pause: „Das Hirn natürlich auch.“ So einfach ist das also nicht, mit den Zuschreibungen. Jedenfalls liefert Meyer in seiner lakonischen Art, mit seinem trockenen Humor und seiner grauschwarzen Erzählung über ein ehemaliges Kohleviertel einen starken Eindruck. Während ich ihn sonst während der drei Tage flüchtig wahrnehme. Nur einmal sehe ich ihn kurz durch das Hotel huschen.
Schnee im Frühling
Ganz anders Alissa Walser. Sie nimmt an allen Lesungen teil, verbringt die Abende im Gespräch mit ihren Kollegen an der Hotelbar. Und eine ganze Stunde lang öffne ich in der Yogaeinheit neben ihr mein Herz für den Frühling. Obwohl der Frühling mit seinen Reizen geizt an diesem Wochenende. Schon bei der Anreise begrüßt uns Schnee am Pötschenpass, zeigen sich die umliegenden Berge in winterlicher Pracht und lässt uns die eiskalte Luft rasch ins Hotel flüchten. Am Sonntagvormittag zeigt der Winter mit dichtem Schneefall noch einmal, dass man ihn bloß nicht zu früh verabschieden darf. Ich finde ja, dass der Schnee gut zu Alissa Walser passt: Die feinen Kristalle, die leichte Art, wie er zu Boden schwebt. Vordergründig leicht wirken ihre Texte, in denen sie feinsinnig ihre Beobachtungen und Wahrnehmungen erzählt. Mit mindestens so viel Tiefgang und Dichte wie Schnee, der sich meterhoch auftürmt.Kurz schneit wiederum Annette Mingels herein. Sie reist erst kurz vor ihrer Lesung an – und da sie das Festival abschließt, wird sie wohl auch schon bald nach mir wieder abreisen. Dennoch prägt auch sie sich ein, in diese Literaturauszeit. Erdig, klar und präsent wirkt sie im Gespräch über ihren Roman und über Beziehungen in Familien, den Stoff, der diese zusammenhält. Ja, sie schreibt über die Liebe. Aber: Kitsch und Überhöhung haben dabei keinen Platz und offen legt sie auch die Fallstricke, die das Alltagsleben mit sich bringt. Unaufgeregt und intelligent. Modern. Jedenfalls bringt sie mich dazu, über meine eigenen Beziehungen zu meiner Familie nachzudenken und das ist es doch, was Literatur auch soll: Zum Nachdenken anregen.
Poetisches Unkraut
Was Literatur noch soll, ist den Blick hinzuwenden, auf Dinge, die wir in unserem Rauschen durchs Leben übersehen. Darin ist Jan Wagner Meister. In seinen Gedichten beschreibt er scheinbare Banalitäten und Dinge des Alltags so einnehmend, dass man sich beinahe schämt, diese Poesie, die in ihnen steckt, bisher nicht wahrgenommen zu haben. So auch sein Gedicht über Giersch, das alles überwuchernde Unkraut, das so viele Gärtner plagt. Wie er dazu gekommen ist? Nun, bei einem Gespräch im Freundeskreis war der Ärger über Giersch Thema gewesen. Als Balkonbesitzer konnte er nicht viel dazu beitragen. „Also habe ich halt darüber geschrieben“, sagt und grinst. Und wohl auch, weil er es schön findet, dass das Unkraut seine Eigenschaft bereits im Namen trägt.Weil Walter Grond den Anspruch erhebt, im Gegensatz zur Lyrik „die Welt in ein Buch zu verpacken“ schreibt er Romane. Knapp und klar will er erzählen und einen Konterpunkt zu den ausufernden Wälzern anderer zu schaffen. So ist es ihm gelungen, eine drei Generationen und 100 Jahre umfassende Geschichte in 164 Seiten zu erzählen. Was überrascht: Trotz dieser Knappheit werden unterschiedliche Zeiten und Welten spürbar, treten Szenen plastisch vors geistige Auge. Walter Grond ist der Lokalste der sechs teilnehmenden Autoren. Der gebürtige Steirer hat von Kindheit an immer wieder Zeit in Aussee verbracht. Nun ist er hier, um sich mit diesem Ort zu versöhnen. Vor einigen Jahren hatte ihm der Fluss hier seinen Vater genommen. Mit seiner Frau verbringt er die Tage hier beim Wortfestival und so treffe ich ihn immer wieder beim Essen und an der Bar.
Unter Tage
Auch Franzobel begegne ich immer wieder, an diesen Tagen. Er hat einen besonderen Leseort zugedacht bekommen. 700 Meter tief unter Tage, in der Barbara-Kapelle des ehemaligen Salzbergwerkes liest er vor den in weiße Überkleidung gewandeten Zuhörern. Das ist ein seltsamer Kontrast: der durchaus auch zu derben Formulierungen neigende, jedenfalls sich kein Blatt vor dem Mund nehmende und überaus weltliche Autor vor dem rötlich schimmernden Altar aus Salzblöcken, umgeben von Heiligenbildern. Und dennoch passt es sehr gut, ihn hier aus seinem Buch lesen zu hören. Immerhin schildert er die grausigen Ereignisse, die auf das Auflaufen der Fregatte Medusa auf einer Sandbank im Jahr 1816 gefolgt sind. Da wird manches zumindest in Ansätzen nachvollziehbar, in diesem dunklen Gewölbe, in dem die feuchte Kälte nach und nach in die Glieder kriecht. Ausgeliefert zu sein und vertrauen zu müssen. Es ist durchaus erleichternd, wieder in die Außenwelt zurückzukehren. Nicht nur, weil nun wieder eine Toilette in erreichbarer Nähe ist.Dieses Miteinander mit den Autoren, das immer wieder Aufeinandertreffen trägt sicherlich zur besonderen Atmosphäre des Festivals bei. Da ist aber noch mehr: Wertschätzung, das ist der Begriff, der mir immer wieder in den Sinn kommt, wenn ich an diese drei Tage zurückdenke. Gegenüber mir als Hotelgast und Festivalteilnehmerin. Gegenüber den Autorinnen und Autoren. Für die Literatur. Für die Geschichte und Tradition der Gegend: In Referenz auf Hugo von Hofmannsthal, den beim Lesen und Arbeiten in seinem Bauernhaus in Bad Aussee die Kuhglocken ganz furchtbar genervt hatten, wird zur Eröffnung des Festivals eine Kuhglocke mit einem Tuch ausgestopft und zum Schweigen gebracht. Leider wurde sie am Ende der drei Tage nicht wieder davon befreit. Wie werden sich nun wohl die Kühe orientieren, wenn ihre Leitkuh nicht mehr bimmelt?
Als Eröffnungs-Autor hat Jan Wagner die Kuhglocke zum Schweigen gebracht.
Hier mit Hotelchefin Petra Barta (li) und Moderatorin Doris Lind (re). Foto: feinwork, Reiter @WASNERIN
Zwischen den Lesungen bleibt immer wieder Zeit zum Selberlesen. Zum Beispiel im gemütlichen Bibliotheksbereich mit Kamin. Foto: EK
Wer in die Salzwelten will, muss sich in weiße Überbekleidung hüllen, Literatur hin oder her. Auch wenn dadurch so mancher feiner Pelzmantel versteckt werden muss. Foto: BK
In der Barbara-Kapelle der Salzwelten Altaussee. Foto: BK
Literasee. Oder der eindeutige Versuch einer literarischen Verführung
Wortfestival, 21. bis 23. April 2017
Festivalzentrum: Hotel Die WasnerinBad Aussee/ AusseerlandDas Literasee Wortfestival fand 2017 zum dritten Mal statt und hat es sich zur Aufgabe gemacht, zur Förderung von Literatur und Kultur beizutragen: mit Lesungen aus hochaktuellen Büchern & Gesprächen mit den Autorinnen und Autoren in einer kleinen, feinen, intimen Festivalatmosphäre.
Die Literasee im Web und auf Facebook.
Der Veranstaltungsort
Vor mehr als 150 Jahren haben die Literaten das Ausseerland für sich entdeckt. Am Grundlsee ließ Genia Schwarzwald 1920 ein verfallenes Hotel umbauen und als Erholungsheim für „geistige Arbeiter“ eröffnen. Hier sollten Literaten, Musiker, Schauspieler durch Lesungen, Theater und Konzerte geistige und künstlerische Anregungen erhalten. Der „Seeblick“ wurde aber nach Hitlers Einmarsch geschlossen.Am Lerchenreither Plateau war die Kaffeewirtschaft „Zur Wasnerin“ zu dieser Zeit schon beliebter Treffpunkte für den Ausseer Kreis um Hugo von Hofmannsthal und Jakob Wassermann. Das damalige Who is Who verkehrte hier und beschritt vom Plateau aus die Welt: Raoul Auernheimer, Hermann Broch, Egon Friedell, Thomas Mann, Robert Musil, Rainer Maria Rilke, Manès Sperber, Arthur Schnitzler, Friedrich Torberg uvm.
Die Wasnerin im Web
Hinweis: Die Veranstalter des Wortfestival Literasee haben mir einen Festivalpass zur Verfügung gestellt.