Think Outside the Plan

Wie wir im Ungeplanten neue Möglichkeiten entdecken.

In Unternehmen sind unerwartete Situationen beinahe alltäglich. Man könnte versuchen, diese durch noch striktere Regeln, detaillierteres Reporting und Planen zu verringern. Man könnte aber auch lernen, besser damit umzugehen. Die Kunst der Improvisation bietet dafür viele Anregungen.

Die Stühle sind in perfekten Reihen aufgestellt. Der Moderator und die Tontechnikerin checken gemeinsam den Sound. Getränke und Brötchen für das anschließende Buffet sind geliefert. Am Empfang werden bereits die ersten der 400 erwarteten Gäste der wichtigsten Kund*innen-Veranstaltung des Unternehmens begrüßt. Da läutet das Telefon des Projektleiters: Das Taxi der Keynote-Speakerin hatte auf dem Weg vom Bahnhof einen Unfall. Sie wird soeben mit dem Verdacht auf eine Gehirnerschütterung mit der Rettung ins Krankenhaus gefahren. Was wohl der Albtraum aller Veranstalter*innen ist, ist in großen und kleinen Ausprägungen Alltag in Unternehmen. Ein wichtiger Kunde bricht weg, oder gar ein ganzer Absatzmarkt. Die IT fällt für einige Stunden aus. Eine neue Technologie überrollt den Markt. Je komplexer die Organisation, je schnelllebiger der Markt umso häufiger sehen sich Führungskräfte und Mitarbeiter*innen neuen Situationen gegenüber, für die die eingespielten Standards nicht mehr hilfreich sind. Oder oft sogar hinderlich. Eine bewegte Organisation braucht bewegliche Menschen. Die nach dem ersten Schreck rasch wieder handlungsfähig werden, nach Lösungen suchen und damit mögliches Chaos verhindern.

Improvisation braucht Expertise

Auf der Suche nach hilfreichen Haltungen und Werkzeugen stößt man immer häufiger auch auf die Kunst der Improvisation. Sie ist vor allem aus der Jazzmusik bekannt, aber auch im Theater stellt sie eine eigene Kunstform dar. Und wer in den 1980iger Jahren gern ferngesehen hat, hat sich vielleicht auch an MacGyvers Lösungen für knifflige Probleme erfreut.

Was alle hier erfolgreichen Akteur*innen eint, ist ihre hohe Expertise. Nur wer sein Instrument beherrscht, wer als Schauspieler*in trainiert ist oder eine fundierte technische Ausbildung hat, kann spontan agieren und sich wirklich frei bewegen. Und dabei auch wieder Qualität liefern. „Sometimes you have to play a long time to be able to play like yourself”, meinte Jazz-Legende Miles Davis.

Die dazu ebenfalls nötigen Haltungen der Improvisation wiederum sind auf den ersten Blick recht einfach umsetzbar und gelten gleichermaßen für die Jazz-Musik wie für Organisationen. Der Coach und Unternehmensberater Robert Poynton bricht sie auf drei simple Grundsätze herab: „Notice More“,
„Let Go“ und „Use Everything“. Doch was genau meint er damit?

„Let Go“

Loslassen ist die wesentlichste Voraussetzung. Allen voran die eingespielten, Sicherheit und Orientierung gebenden Standardprozesse und -lösungen. Den vorab gefassten Plan. Die Erwartung und Konvention, wie eine Kund*innen Veranstaltung abzulaufen hat, um beim Eingangsbeispiel zu bleiben. Das braucht etwas Zeit und auch die Möglichkeit, seinen unmittelbaren Emotionen, wie Wut und Trauer, ihren Raum zu lassen. Erst dann kann das Loslassen gelingen – und damit das Einlassen auf die sich nun bietenden Chancen und Möglichkeiten.

„Notice More“

Im Normalmodus filtern wir viele der auf uns einwirkenden Eindrücke und Informationen. Was durchaus sinnvoll ist, wenn wir im Alltag halbwegs effektiv und effizient sein wollen. Wollen wir jedoch in unerwarteten Situationen handlungsfähig bleiben, sollten wir ganz bewusst wahrnehmen, was die Welt, das unmittelbare Umfeld, andere Menschen und wir selbst uns (noch) sagen. Wirklich zuhören, was Menschen sagen – und nicht im Kopf schon wieder eine Replik auf die vermutete Aussage formulieren. Die Sinne schärfen. Umsehen, was und wer alles gerade jetzt zur Verfügung steht.

„Use Everything“

Um die nun wahrgenommenen Dinge auch tatsächlich nutzen zu können, braucht es eine offene Haltung. Das kann unserem automatischen Modus widersprechen, alles uns Unvertraute und Fremde erstmal abzulehnen. „Everything is an offer“, fasst Robert Poynton die wesentliche Haltung in der Improvisation zusammen. Also gilt es, den ersten Impuls zu unterdrücken und genau hinzusehen. Was und wer ist jetzt alles da? Wie kann uns das eventuell weiterbringen auf dem Weg zu einer Lösung? Welche neue Idee löst der Gedanke eines anderen bei mir aus?

Zusammenarbeiten

So sagt Dirigent Markus Poschner, der auch als Jazzpianist aktiv ist, in einem Gespräch des Ö1 Klassiktreffpunktes: „Das wirklich Wesentliche ist das Geben und Nehmen, zuhören zu können, beidseitig. Ich glaub nur dann kann etwas entstehen als die Summe der Einzelteile. (…) Man sollte immer großen Respekt haben vor den Ideen der anderen. Und wenn man das einfließen lässt in die eigene Arbeit, dann kann etwas Großes entstehen.“

Improvisationskunst wird oft in der Kollaboration von Menschen gespielt. Und genau darin liegt auch die Chance für Unternehmen, die meist viel Erfahrung in der Zusammenarbeit von Menschen haben. Um diese mit den Haltungen und Fertigkeiten der Improvisation ausreichend bewegt zu halten, braucht es entsprechend geübte Führungskräfte und Mitarbeiter*innen. Aufbauend auf einer hohen Expertise und Erfahrung im jeweiligen Fachbereich.

Etwas Besonderes gestalten

Was also könnte der Projektleiter unseres Beispiels tun, um den Abend zu retten? Rasch sein Team zusammenholen und vielleicht auch noch weitere Anwesende, wie Kund*innen oder Tontechnikerin. Raum geben für eventuell aufkommende Wut oder Verzweiflung. Und dann den ursprünglichen Plan loslassen. Bewusst wahrnehmen, was der Raum alles bietet. Alle um ihre Gedanken bitten, seien sie auch noch so absurd auf den ersten Blick. Alles nutzen, Ideen weiterspinnen. Vielleicht gibt es Mitarbeitende, deren Expertise spannend wäre? Das Publikum selbst zu Akteur*innen machen und in die Veranstaltung involvieren? Was auch immer die Lösung ist: Meist entsteht dabei etwas ganz Besonderes, das sich lange in die Erinnerungen einprägt.

Weitere und vertiefende Infos:
>> Buch von Robert Poynton: Do Improvise: Less Push. More Pause. Better results
>> Buch von Kat Koppett: Training to Imagine
>> Webseite von Lukas Zenk, Donau-UniKrems: www.improvisation.science/

Dieser Artikel ist im Magazin Inovator Nr. 38 (2022) erschienen.

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